Amalfizitronen
Von unserem Unternehmessitz ist München keine Stunde weit entfernt – und zumal die bayerische Landeshauptstadt gerne auch als die nördlichste Stadt Italiens bezeichnet wird, sind italienische Zitronen hier bei uns, so im ganz weiten Sinn und mit Augenzwinkern, ja beinahe regional.
Nein, im Ernst: Zitronen aus der Region, das haut in unseren Gefilden einfach nicht hin. Dafür gibt es ja aber die berühmten Früchte von der Amalfiküste! Angebaut ohne den Einsatz von Kunstdünger und chemisch-synthetische Spritzmittel, wiegen sie zwischen hundert und fünfhundert Gramm und sind mal glatt, mal knubbelig, manchmal rund und dann wieder oval - kurzum: sie sind schon rein optisch echte Charakterzitronen.
Viel wichtiger ist natürlich das Aroma der Zitronen, die in Italien komplett mit Schale gegessen werden. Während wir Deutschen das Weiße der Schale geradezu fürchten – bei unseren Supermarktzitronen auch aus gutem Grund – schneiden die Italiener ihre Früchte dünn auf, mitsamt der teils einen Zentimeter dicken weißen Schicht, und bereiten einen fruchtig-herzhaften Zitronensalat zu. Das funktioniert wunderbar, die weiße Schale mildert die Säure, ohne dabei bitter zu schmecken und bereichert zusätzlich durch die ätherischen Öle in der äußeren Haut. Es entsteht ein runder Geschmack, je nach Zitrone etwas säuerlicher oder süßlicher, der wunderbar mit Olivenöl, Kapern und auch anderen Gemüsen harmoniert.
Irgendwie scheinen wir hierzulande die Zitrone auch etwas einseitig zu nutzen, der absolute Klassiker ist noch immer der Käsekuchen, der etwas Zitronenschale abbekommt – was ich übrigens schrecklich finde. Die Vielseitigkeit der Zitrone, gerade auch bei herzhaften Gerichten, ist mir auch erst irgendwann durch die berühmte Gremolata bewusst geworden. Diese Mischung aus Petersilie, Zitronenschale und Knoblauch verleiht deftigen Fleischgerichten wie dem Ossobuco eine frische Note und macht sie dadurch interessanter. Davor haben Zitronen zumindest in meinem Leben kaum eine Rolle gespielt, heute benutze ich sie in recht großen Mengen denn sie passen eigentlich zu jedem Gericht, das nach einer frischen Note verlangt.
Und doch gibt es die klassischen Verwendungszwecke für Zitronen, und Zitrusfrüchte im Allgemeinen haben auch bei uns eine lange kulinarische Tradition. Die Methode, Pomeranzen zu kandieren um sie das ganze Jahr über haltbar zu machen findet sich bereits in Kochbüchern des 16. Jahrhunderts. Die Anleitung, „Pomeranzen schelen zumachen“, also die Schale der Pomeranzen zu kandieren, um sie zu konservieren, stammt aus dem Jahr 1547. Es stand nicht, wie heute üblich, eine Veredelung des Obstes im Vordergrund, mit der besonderer Geschmack und Konsistenz erreicht werden. 1598 beschreibt Anna Weber in „Ein köstlich New Kochbuch“, wie man Pomeranzen ein ganzes Jahr haltbar macht – das Kandieren war eine Konservierungsmethode. Sie gibt in diesem Rezept auch einen Hinweis darauf, weshalb sich in den Kochbüchern vor der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts keine Rezepte mit kandierten Zitronen oder anderen Zitrusfrüchte finden: die Früchte dienten mehr als Medikamente, die z.B. den Magen beruhigen sollten und Kranke stärken. Während teure Gewürze, Früchte, sogar Datteln in Kuchen, Mus, Koch und anderen Gerichten verwendet werden - Zitrusfrüchte sind mir kaum begegnet.
Im Jahr 1665 werden dann im „Der frantzösische Becker“ Zitronen als Würzzutat verwendet, die eingelegten Schalen (vermutlich eingesalzene oder in Essig haltbar gemachte), zu einer Tarte mit reichlich Ochesenfett und Speck verarbeitet oder auch einer mit Kräutern und Spinat.
Im „Diaeteticon“ von Johann Sigismund Elsholtz aus dem Jahr 1682 findet sich unter anderem ein Rezept für Limonade, angereichert mit Gewürzen soll man dieses Getränk dem „Frauen=zimmer“ präsentieren – zu welchem Zweck auch immer, vielleicht, um sie zu beeindrucken. Die heute etwas verpönte Limonade ist also keine neuere Erfindung, der Unterschied ist nur, damals wurde, wie auch bei Essensfreuden, die Limonade aus der Schale und dem Saft der Furcht in Verbindung mit Wasser und Zucker hergestellt – nicht aus Aromen, Süß-, Konservierungs- und Fabstoffen.
Die Zitronenrezepte aus dieser Zeit sind zahlreich, Zitronensülzen, -suppen, -brühen, in Soßen, Puddings, Gebäck und dergleichen mehr kommen die Zitrusfrüchte zum Einsatz. Die Namen werden manchmal synonym verwendet, es lässt sich nicht immer unterscheiden, was genau mit Pomeranzen, Citronen oder Limonen gemeint ist, in älteren Rezepten verrät die Überschrift, dass es sich um Pomeranzen handelt, im Rezept selbst ist von Äpfeln die Rede, es wird also ein die Form beschreibender Name benutzt der uns wiederum verdeutlicht, dass es sich hierbei tatsächlich um die runden Bitterorangen handeln wird.
Das Kandieren der Zitronenschalen
Wie bereits erwähnt, diente das Kandieren der Haltbarmachung der Zitronenschalen, die als nicht einheimische Frucht, das Kapitel des Diaeteticon, welches sich mit derlei Obst beschäftigt ist mit „Von frembden Früchten“ überschrieben, entsprechend wertvoll waren. Anna Wecker ist offensichtlich von der Wirkung der Zitrusfrüchte gegen Krankheiten, namentlich „Grimmen“ und das „Magengrimmen“, überzeugt. Aus Lemonien und Pomerantzen (auch Bomerantzen) bereitet sie „Ein kräfftiges Müßlein für ein schwachen Magen“ zu, süß, herzhaft oder fischig, wie es gerade verlangt wird.
Mein erstes Interesse gilt hier jedoch den kandierten Zitronen, genauer gesagt, der Zitronenschale. Ich mochte schon immer die altmodischen Gebäcke mit kandierten Früchten, allerdings ist Zitronat in der Regel eine infernalische Abscheulichkeit, schon die grünliche Farbe verheißt nichts Gutes. Wenn ich also schon eine Lieferung Amalfizitronen bekomme musste ich auch welche kandieren. Eine Ladung ist bereits fertig, die andere schwimmt noch im reichhaltigen Zuckersirup und strebt der vollen Verzuckerung entgegen.
Geändert hat sich seit dem 16. Jahrhundert eigentlich nicht viel an der Methode des Kandierens. Sicher, Früchte durch Zucker oder Honig haltbar zu machen ist keine Erfindung dieser Zeit, doch ich möchte hier nicht über die Methoden der Araber oder Chinesen vor tausend und mehr Jahren spekulieren. Also zurück ins Jahr 1547 zu dem bereits erwähnten Rezept aus „Ain künstlichs und nützlichs Kochbuch“, das ich hier im Frühneuhochdeutschen widergeben möchte:
Pomeranzen schelen zumachen
So nympt man die Pomeranzen von süssen Pomeranzen schelen / waych sy in frisch Brunnwasser 14 tag / seyhe es alle tag ab / geüß wider frisch daran / denn nymm die schelen / seüds in wasser bey ainer stund lang / seichs ab / thus in ain krüglein oder glaß / schneyd die Pomeranzen / schäls ob du wilt / zetlat / geüß geleüterten zucker daran / laß es stehen acht tag / dann seyhe den zucker ab / seüd in hin unn wider / magsts ain mal oder drey hin und wider sieden.
Zetrain apffel macht man inn sollcher maß / Machs ein so mans wol seudt / In zucker seinds gut / das feücht soll man außschneyden / nur die schölen.
Mit „Zetrain apffel“ ist die Cedratzitrone gemeint, apffel scheint zu dieser Zeit ein beschreibender Begriff für rundliche Früchte einer bestimmten Größe, die an einem Baum wachsen zu sein.
Die alten Rezepte haben eigentlich alle eines gemein, die Früchte werden gewässert und gekocht bis eigentlich nur noch eine Trägermasse für den Zucker übrig bleibt. Der Verfasser dieses Rezepts wässert die Schalen 14 Tage, bevor er sie kocht, das ist auch für Bitterorangen eine beachtliche Dauer. Selbst heute findet man Rezepte für kandierte Orangen- oder Zitronenstreifen, die zwei- bis dreimal in frischem Wasser gekocht werden. Ziel dieser Prozedur ist es, die Bitterstoffe aus der Schale zu ziehen, allerdings gehen dabei natürlich auch die aromatischen ätherischen Öle aus der äußeren Haut verloren. Ich gebe meine Zitronen in Sirup, der immer weiter konzentriert wird und der den Geschmack, den die Schalen abgeben aufnimmt. Daher biete ich meine kandierten Zitronenschalen im Sirup an, denn der ist auch bestens geeignet, Gebäck oder Süßspeisen zu aromatisieren. Und um den Geschmack geht es mir ja schließlich immer, so kam ich auch erst auf die Idee, selbst Zitronen zu kandieren. Außerdem faszinieren mich alte Rezepte und Verfahren und das Kandieren ist heute kein anderer Prozess als im 16. Jahrhundert, nur dass unsere Angaben heute geringfügig präziser sind.
Wie verwende ich die kandierten Zitronen? Wie ich gerade Lust habe! Nimmt man die Stücke aus dem Sirup, schneidet sie in Streifen und lässt sie eine Stunde trocknen, so hat man kleine, süß-herbe Zitronenstäbchen. Habe ich Lust auf etwas Ausgefalleneres, tunke ich sie in geschmolzene Schokolade. Kleingeschnitten verwende ich sie für die Klassiker wie Stollen, Kuchen, Marzipankonfekt oder Kekse. Durch ihre bissfeste Konsistenz eignet sich die Zitronenschale für leckere Desserts, z. B. einfache Zitronencrème mit Biskuit und Alkohol o. a. in ein Glas geschichtet. Eine Kombination aus Lebensmitteln, die einfach nur gut sind, kann nicht falsch sein – nach dieser Devise arbeite ich in der Küche. •